Helmut Scherf

Porzellanplattenmalerei aus dem Lichtetal

Aufsatz von Helmut Scherf

"Porzellanplattenmalerei aus dem Lichtetal, Leistung und Pflege einer überlokal bedeutsamen Tradition" aus dem Jahre 1983:

 

"...

Die hohe Kunst der Porzellanplattenmalerei kam im Lichtetal im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts in Mode und gelangte dort zu einer außerordentlichen Blüte. Lichte und das unmittelbar benachbarte Wallendorf, das mit zwei weiteren Orten heute zu einer Gemeinde zusammengewachsen ist, zählt zu den traditionsreichen Zentren der Porzellanindustrie auf dem Thüringer Wald (Schiefergebirge). Die vormals Ausdruck der derzeitigen grotesken staatlichen Zerrissenheit und der daraus resultierenden tragikomischen Situationen, den Herzogtümern Sachsen-Meinigen  und Sachsen-Coburg-Saalfeld sowie dem Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt zugehörigen Besitzungen erhielten 1952 Neuhaus a. Rennweg als Kreisstadt. In Wallendorf reicht die Herstellung des Porzellans, nicht zuletzt mit dem Namen Johann Gotthelf Greiners verbunden, des "Vaters der Porzellanindustrie auf dem Thüringer Wald", in das Jahr 1764 zurück. Und in Lichte wurde 1832, da die bereits seit 1762 (1760) existente Manufaktur in Volkstedt auf ihre Monopolstellung verzichten mußte,  Wilhelm Liebmann und seinem Bruder Heinrich eine mit sechs Drehscheiben ausgestattete  Porzellanfabrik konzessioniert. Sie ist 1840 an die Brüder Christoph und Philipp Heubach aus Lauscha verkauft und neu privilegiert worden. Bereits seit 1848 wurde sie von den Söhnen Anton und Louis Heubach weitergeführt und befand sich seit 1876 im Alleinbesitz des letzteren. Unter dessen Söhnen, zu denen der langjährig tätige Direktor Richard Heubach gehörte, wurde das Unternehmen 1904 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und mußte 1938 den Konkurs anmelden. Heute produziert der VEB Vereinigte Zierporzellanwerke Lichte mit seinen Betriebsstätten in Lichte, Wallendorf, Rudolstadt-Volkstedt, Unterweißbach, Scheibe-Alsbach und anderwärts als eines der gewichtigsten Zierporzellanwerke des Kontinents und ist, wir denken an das Thüringen Studio, um die Pflege und kreative Weiterentwicklung heimischer Tradition bemüht.

 

Um 1876, es ist das Verdienst von Louis Heubach, hatte man in Lichte mit der Herstellung von Zierporzellan begonnen und schon im folgenden Jahrzehnt die im Lichtetal zu überlokaler Bedeutung gelangte Porzellanplattenmalerei aufgenommen. Diese Bewegung wurde in nicht geringem Maße initiiert und gefördert durch die seit 1862 am Ort vorhandene Zeichen- und Modellierschule. Mit der qualitativen Verbesserung und Erweiterung des Programms der Porzellanartikel versprach man sich wirtschaftliche Erfolge und soziale Befriedigungen. Die Plattenmalerei ist von besonders befähigten Porzellanmalern geübt worden. Die schon in der Frühzeit feinsinnig und mit großem Können bemalten Platten und Medaillons, die gleich Gemälden in der Regel stil- und anspruchsvoll gerahmt wurden, fanden zunehmend Beachtung und Absatz. Bereits damals lagen die dafür geforderten Preise ziemlich hoch und reichten von 200 oder 300 Mark bis hin zu 1500 Mark. 

 

Zu bisher unübertroffener Meisterschaft brachten es Louis und sein um sechs Jahre jüngerer Bruder Albert Scherf. Von der Hand Louis Scherfs gelangten beispielsweise mehr als 80 meisterlich gemalte Platten in die international renommierte Porzellansammlung des Palazzo

Pitti in Florenz und werden dort noch heute bewahrt und teilweise mit ausgestellt. Von den in Lichte tätig gewesenen vortrefflichen Porzellanplattenmalern seien, neben Louis und Albert Scherf, hervorgehoben Engelbert Brödel (1848-1938),  Alfred Brödel (1861-1927), Otto Meisel (1859-1927), der Vater des bekannten Modelleurs Hugo Meisel, und Oskar Dietrich (1877-1948). Ihr verpflichtendes Erbe wird heute von Arno Häckel, Oskar Hanika, Gerhard Nußmann, Karl-Heinz Müller und anderen fortgeführt.

 

Als der Altmeister und Begabteste seiner "Zunft"  darf jedoch unbestritten Louis Scherf gelten. "Hagemüllers Louis", so genannt nach seiner Großmutter Christiane Hagemüller, wurde am 30. Mai 1870 als der Älteste von vier Geschwistern in Lichte geboren. Der Vater, Hugo Scherf, Porzellanmaler, verstarb früh, so daß die Mutter schon mit 28 Jahren Witwe und die Großmutter Christiane als Hebamme der Ernährer der Familie wurde. Zudem malte man, einschließlich der Kinder, in Heimarbeit für die Porzellanfabrik Gebr. Heubach in Lichte. Louis Scherf lernte drei Jahre als Porzellanmaler bei dem tüchtigen Albert Schünzel am Ort und besuchte gleichzeitig die heimische Zeichen- und Modellierschule unter dem verdienstvollen Professor Louis Hutschenreuther. In diesem Zusammenhang sei nochmals auf den guten Ruf und die Bedeutung dieser Schule für die Weiterentwicklung und Gestaltung der Porzellanindustrie, insbesondere im Raum Lichte, nachdrücklich hingewiesen.

 

Des besseren Verdienstes wegen nahm Louis Scherf schließlich, zusammen mit seinem Bruder Albert, eine Beschäftigung als Porzellanmaler bei der Fa. Julius Just in Lauscha (Anmerkung: gemeint ist die Firma Julius Greiner Sohn) auf. Bei Wind und Wetter mussten täglich etwa dreieinhalb Stunden Weg zurückgelegt werden. Ende der neunziger Jahre verließen die Brüder Scherf Lauscha und bezogen eine gemeinsame Malerstube im "Himmel" (Obergeschoß) des neuerbauten Fabrikgebäudes der Fa. Gebr. Heubach in Lichte. Inzwischen hatte Louis Scherf geheiratet (1898), und zwar die Porzellinerin Helma Ulbrich, die Tochter des denkwürdigen Wilhelm Ulbrich. Er war Modelleur bei den Heubachs, er war Landtagsabgeordneter und ein bekannter Heimat-(Mundart-)Dichter. Aus der glücklich und harmonisch geführten Ehe ging nur ein bereits mit fünf Monaten verstorbenes Mädchen hervor.

 

Schon vor der Verheiratung wurde Richard Heubach auf Louis Scherfs Talent aufmerksam und förderte ihn, gewiß nicht uneigennützig, in großzügiger Weise. Er zahlte ihm und seinem Bruder Albert, das lag beträchtlich über dem Durchschnitt, einen Wochenlohn von 35 bzw. 25 Mark. Freilich, genau besehen war es nur ein Teil dessen, was man am Gewinn beim Absatz der Platten erzielte. Was aber mehr bedeutete:  Heubach schickte Louis Scherf zur Weiterbildung, vor allem zum Kopieren, in die großen Galeriestädte Berlin, Dresden, München, Florenz und blieb ihm bis ins hohe Alter freundschaftlich verbunden. Diese Reisen, auf denen er öfters von  Richard Heubach begleitet wurde, weiteten den Horizont und lehrten,  sich in der "großen Welt" zu bewegen. Ehrenvolle Angebote, nach Dresden und an die Manufaktur in Meißen überzuwechseln, lehnte Louis Scherf, mit der Heimat fest verwurzelt und aus Verantwortung seiner Familie gegenüber, ab.

 

1916, bereits 46 Jahre alt, ist er noch Soldat geworden und stand in vorderster Stellung.

 

Bald nach der Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg wurde Louis Scherf in Lichte freischaffend tätig; glaubte er doch, seine Dankesschuld an die Heubachs inzwischen abgezahlt zu haben. Im Haus Hauptstraße Nr. 56, dem Haus der Hagemüllers, richtete man eine Malerstube mit Oberlicht, also ein Atelier ein, und hier arbeiteten Louis und Albert Scherf gemeinsam, fleißig und korrekt, wie in der Fabrik. Tonangebend war der ältere Bruder, sein Ratschlag, sein Urteil galten unbedingt. Mit erstaunlicher  Konzentration und Geduld wurde Platte um Platte bemalt. Es sind nach wie vor Aufträge für die Fa. Gebr. Heubach ausgeführt worden und daneben zunehmend eigene Aufträge. Die Porzellanplatten wurden teilweise über Berlin und teils über die Lichtener Fabrik bezogen, und sie übernahm auch das Bennen, also die mehrmalige Schmelze, und für ihre Artikel Absatz und Versand. Es folgten Jahre bescheidenen Wohlstandes bis hin zur Weltwirtschaftskrise, da es der neue Heubach-"Chef" ablehnte, weiterhin Platten bei den Brüdern Scherf in Auftrag zu geben.

 

Über einen Dresdner Kunsthändler Koch, der des öfteren schon Arbeiten der Scherfs angekauft hatte, eröffnete sich jedoch unerwartet ein lukrativer Auftrag. Und zwar bestellte Professor Jacob Lagguzi, Geistlicher am St.-Josef-Stift in Dresden, zur Vervollkommnung seiner Sammlung zahlreiche Platten bei Louis Scherf. Auf Jahre war damit vorgesorgt. Besagter Jacob Lagguzi war es auch, dem das Palazzo Pitti in Florenz die generöse Stiftung an Porzellanplatten und anderen künstlerischen Porzellanerzeugnissen, voran von der Hand Louis Scherfs, zu verdanken hat. 

 

Daneben gab es vor allem in den dreißiger und vierziger Jahren Bildnis- und andere Aufträge von Freunden und Bekannten. Und zudem, die Porzellanfabrikanten aus Lichte und Umgebung sowie die "Glasbarone" aus Lauscha, Neuhaus, Oelze, Lichte ließen sich und ihre Familien gern von den Scherfs porträtieren. Das gehörte zum guten Ton. Nun war keine Not mehr gegeben, sich von den kostbaren Originalkopien zu trennen.

 

Louis Scherf und seine schon 1938 verstorbene Frau unterhielten ein gastfreundliches Haus: Kunstfreunde aus aller Welt fanden sich ein, um zu schauen und etwas zu kaufen. Zu Hause wurde schon immer fleißig musiziert. Louis Scherf war ein begabter Geigen- und Zitherspieler und musizierte gern im Quartett. Er gab Geigenstunde und ging jede Woche zur Probe der "Hauskapelle" nach dem benachbarten Geiersthal. In Erinnerung geblieben sind aber auch sein Humor, sein zu Scherzen aufgelegtes Treiben im Hagemüllerschen Haus.

 

In der Frühzeit, einer künstlerisch fruchtbaren und bereits leistungsstarken Periode, hat Louis Scherf seine Platten nicht signiert. Sie tragen rückseitig lediglich den Stempel der Fa. Gebr. Heubach. Erst gegen 1900 sind signierte Platten nachweisbar, in der Regel jedoch ohne Datierung. Die strenge disziplinierte Auffassung der Früh- und Hochzeit mit einer minutiösen, erstaunlich verdichteten und vergeistigten, farblich brillanten Malerei weicht im Verlauf der dreißiger und in den vierziger Jahren einem gelockerten, malerisch reicheren Altersstil. Güte und Weisheit des Alters lassen zu überraschend neuen Formulierungen und Ausdeutungen gelangen. Ein überzeugendes Beispiel dafür ist der "Lesende Eremit" aus dem Jahre 1950. Wohl lassen Kraft und Spannung, die gewohnte Brillanz der Farben merklich nach, Linien und Konturen büßen von ihrer vormaligen Sicherheit, ihrer Straffung und Akkuratesse ein, dafür  aber erhält das Bild eine wunderbare farbig-tonige Geschlossenheit und geistige Tiefe. Wie in den zurückliegenden Jahrzehnten überwiegen die ein gutes Handwerk fordernden Kopien, die zugleich ein Maßstab für das eigene künstlerische Schaffen sind. So übte Louis Scherf, geachtet und geehrt, bis ins hohe Alter hinein (noch mit 83 Jahren kopierte er Rembrandts "Mann mit dem Goldhelm" und malte wenige Wochen vor seinem Tod ein Christusbild und einen "Gekreuzigten") seine anspruchsvolle Plattenmalerei. Ein Augenleiden behinderte ihn jedoch zunehmend und beeinträchtigte in den letzten Lebensjahren, da er nur noch mit der Lupe malen konnte, die Qualität seiner Bilder. 

 

Auch Albert Scherf war ein überdurchschnittlich begabter Maler, feinsinnig und technisch überaus versiert. Mit Bravour wußte er feine Lichtwirkungen oder effektvolle Hell-Dunkel-Gegensätze überzeugend darzustellen. Man denke nur an die beiden meisterlichen Platten "Lesende Frau bei Kerzenlicht" und "Vorm Schlafengehen". Seinen Bildern mangelt allerdings die kreative Note seines älteren Bruders, dessen Ratschlag öfters spürbar wird. Beide waren sie Kinder ihrer Zeit. Ihrem Stil und Geschmack, das gilt vor allem für das ausgehende 19. und frühe 20. Jahrhundert, waren sie unverkennbar verpflichtet. Sie vermochten sich aber,  und das trifft ganz besonders für Louis Scherf zu,  in den hervorragenden Bildnissen (Großmutter Christiane Hagemüller, Portraits der Mutter und der Gattin, Portrait Richard Heubachs) ganz frei zu machen und zu gültigen, menschlich ergreifenden Interpretationen zu gelangen.

 

Zahlreiche Auszeichnungen wurden Louis Scherf zuteil, so auf der Weltausstellung 1900 in Paris die Silbermedaille für die "Vier Jahreszeiten", kopiert nach Hermann Prell,  1904 auf der Weltausstellung in St. Louis die Goldmedaille für das Portrait der Großmutter Christiane Hagemüller, das sich noch heute in Lichte in Familienbesitz befindet. Auf den Weltausstellungen in Brüssel 1905 und 1910 erhielt er jeweils die Bronzemedaille. In der Nachkriegszeit, d er Notzeit nach 1945 - Louis Scherf hatte bereits die 75 überschritten - war die Resonanz auf seine Malerei offenbar nicht mehr so lebhaft. So blieb das großartige Bildnis der Großmutter auf einer Ausstellung in Sonneberg, die der damalige Direktor des dortigen Spielzeugmuseums , Otto Keil, - er wirkte von 1931 bis 1938 als Lehrer an der Zeichen- und Modellierschule in Lichte, bereits in den Sommerferien stellte er in einer Ausstellung in Lichte Altwallendorfer Porzellanerzeugnisse und Arbeiten der Schüler gemeinsam vor. -  in den fünfziger Jahren einrichtete, ohne besonderen Anklang. Und bei einer anderen Gelegenheit - es handelt sich um eine kleine Ausstellung, die der Lichtner Lehrer Herbert Dietrich nach dem Zweiten Weltkrieg einrichtete - erging es den Bildern Louis Scherfs ähnlich. So soll es ein Anliegen der Eisenacher Ausstellung gewesen sein, die achtenswerte Kunst der Porzellanplattenmalerei in Lichte, insbesondere die der Brüder Louis und Albert Scherf, wieder in Erinnerung zu bringen und damit zugleich Maßstäbe für das heutige Schaffen zu setzen."

 

Und tatsächlich, allein vom rein Handwerklichen her stellt die Porzellanmalerei außerordentliche Anforderungen und setzt langjährige Erfahrung und Einfühlungsvermögen voraus. Nur die besten, meist aus Paris bezogenen Farben (Metalloxide) wurden benutzt. Sie mußten, obwohl sie sehr fein waren, noch mehrere Stunden mittels eines Glasreibers, einer Art Stempel, auf einer Glasplatte gerieben werden. Das war die Beschäftigung des Abends. Die Farben wurden dann mit Nelkenöl, mit Terpentin edelster Art sowie mit Dicköl angesetzt und "standen" selbst in der Sonne. Wichtig war auch ein hochwertiges Pinselmaterial, und Voraussetzung für das Gelingen waren natürlich einwandfreie Porzellanplatten. Die mittleren und größeren Formate, das wurde schon gesagt, bezog man in Lichte meist von der "Königlichen" in Berlin, die kleineren wurden am Ort selbst hergestellt. Über die notwendigen zeichnerischen Fähigkeiten beim Anlegen des Sujets mußten die einem mehrfachen Muffelbrand unterworfenen Platten in den sich verändernden Pigmenten sicher und erfahren vorgetragen und, wenn erforderlich, korrigiert, d.h. lasierend übermalt und neuerlich gebrannt werden. Eine besondere Schwierigkeit aber besteht eben darin, daß den Porzellanplattenmalern nur eine begrenzte Palette von Scharffeuerfarben zur Verfügung steht und daß die Farben zudem bei unterschiedlichen Temperaturen gebrannt werden müssen. Das bestimmt auch, in der Abfolge, den Vortrag der einzelnen Pigmente. Die fertigen und gelungenen Platten aber bestechen durch die Intensität und die Leuchtkraft der Farben, durch den Schmelz und die Wärme der differenzierten Töne. Das Zustandekommen der feinen Zwischenwerte, etwa beim Inkarnat, ist besonders hoch zu bewerten. Mitunter zersprang auch die Platte oder die Farbe verdampfte in der Schmelze; dann war der Kummer nach aller Mühe groß...."